Preisträgerinnen 2017

Julie Völk: Guten Morgen, kleine Straßenbahn!

Gerstenberg Verlag 2016
32 Seiten
15,40 Euro
ab 3 Jahren

Sie erscheint ein wenig anachronistisch – auch wenn sie da und dort noch zum Einsatz kommt: die rote Bim, die vor Einführung der Niederflurwagen das Wiener Stadtbild prägte. Sie wird genutzt, um in einem textlosen Bilderbuch ein dynamisches Verhältnis zwischen Innen und Außen herzustellen. Denn während sich die Straßenbahn frühmorgendlich von Station zu Station bewegt, werden in ihrem einzigen Waggon Lebens- und Beziehungsgeschichten für die Dauer einer Fahrt miteinander verknüpft. Jede der einsteigenden und mitfahrenden Figuren kann über die Doppelseiten des Buches begleitet werden: In einem eigentlich urbanen Setting, das hier auf die Größe einer Modelleisenbahn geschrumpft wird, lassen sich in den kleinteilig und detailliert ausgestalteten Zeichnungen zahllose Geschichten verfolgen. Immer wieder muss zurückgeblättert und von Neuem begonnen werden, denn immer wieder werden neue Requisiten und Figuren entdeckt, deren (oft nur minimale) Variation über die Doppelseiten hinweg zu liebenswerten Alltagsereignissen anwächst, die es wert sind, aus- und nacherzählt zu werden.

Luna Al-Mousli: Eine Träne. Ein Lächeln – Meine Kindheit in Damaskus

weissbooks.w 2016
128 Seiten
13,40 Euro
ab 6 Jahren

Persönliche Erinnerungen sind Ausgangspunkte der 44 kleinen Szenen, in denen Luna Al-Mousli ihre Kindheit in Damaskus heraufbeschwört: der Geruch von Minze und Lavendel, die Allgegenwart politischer Propaganda, die Stimme einer berühmten Sängerin, die Kälte des Klassenzimmers im Winter und des Wassers im Pool im Sommer, die Schläge der Lehrerin, das Einschlafen beim Beten. Es ist eine Kindheit inmitten einer Großfamilie, die in alle Winde zerstreut ist. Immer bestimmt der kindliche Blick die Perspektive. Die junge Erwachsene der Gegenwart, die Kindheit und Stadt längst verlassen hat, greift nicht ordnend und gewichtend ein, verantwortet aber die Gestaltung: Die skizzenhaften Zeichnungen in Rot legen sich wie das Muster eines orientalischen Teppichs über das schöne, durchgängig zweisprachige Buch. Arabisch und Deutsch, Privates und Politisches, Rot und Schwarz, Vergangenheit und Gegenwart, Kindheit und (Her)ausgewachsen sein – "Eine Träne. Ein Lächeln" verbindet das alles.

Elisabeth Steinkellner, Michaela Weiss: die Nacht, der Falter und ich

Tyrolia Verlag 2016
125 Seiten
14,95 Euro
ab 12 Jahren

"der Tag / hat heute keinen Rand": In Gedichten und kurzen Prosatexten werden jene geheimnisvollen Zwischenbereiche eingefangen, in denen das Gestern auf das Heute trifft, das Leben auf den Tod, die Kindheit auf das Erwachsenwerden, das Drinnen auf das Draußen, die Nacht auf den Tag, das Für-sich-sein auf die Zweisamkeit. Sprachsensibel werden Momente des Übergangs eingefangen – jene Momente, in denen Trauer über das Verlorene spürbar wird, oder aber das Glück der neu entdeckten Liebe. Genutzt wird dafür immer ein lyrisches oder erzählendes Ich, wobei es zu einer Besonderheit der Texte gehört, dass dieses heranwachsende Ich vom Geschlecht her unbestimmt bleibt. Daraus resultiert eine Vielfalt an Beziehungsmöglichkeiten, die normative Vorgaben außer Acht lassen und in den adoleszenten Prozess der Selbstsuche und Selbstfindung eine unaufgeregte Offenheit in Fragen der Geschlechtsidentität integrieren. Dieser Durchlässigkeit entsprechen die Illustrationen des bibliophil gestalteten Buches: transparent erscheinende Drucke aus Naturmaterialien.

Julya Rabinowich: Dazwischen: Ich

Carl Hanser Verlag 2016
256 Seiten
15,50 Euro
ab 14 Jahren

Auf der Flucht vor Krieg ist Madina mit ihrer Familie in einer Flüchtlingsunterkunft gestrandet und wartet auf den Asylbescheid. In ihren Tagebucheinträgen erzählt sie vom Alltag in beengten Verhältnissen, den Folgen der Heimat-, Sprach- und Mittellosigkeit, der Spannung in ihrer Familie, den Konflikten vor allem mit dem Vater, der sich nicht nur fremd, sondern zunehmend verloren fühlt. Madina findet sich leichter zurecht, lernt am schnellsten, findet in Laura eine gute Freundin. Mit der kann sie jene Erfahrungen teilen, die viele 15-jährige Mädchen machen. Julya Rabinowich bringt in ihrem ersten Jugendroman erzählerisch viel zusammen: die ungeheuerlichen Folgen von Flucht, die hohen Anforderungen im Rahmen von Integration, die Auswirkungen auf familiäre Systeme, dazu die klassischen Konflikte der Pubertät, die sich in dieser Konstellation deutlich verschärfen. Die Autorin hinterfragt Rollenzuschreibungen, bricht übliche Denkmuster auf, nicht zuletzt auch, weil sie durch die emotionale Sprache des Tagebuchs die Empathie der Leserinnen und Leser fördert.