Preisträgerinnen und Preisträger 2011
Bilderbuch
Michael Roher
Fridolin Franse frisiert
Picus Verlag 2010
32 Seiten
16,90 Euro
ab 3 Jahren
Ein Kamm, an dessen Zinken sich ein Sträfling abseilt, ein Lockenwickler, auf dem ein Clown mit Gitarre singt – schon das Vorsatzblatt stimmt auf Fridolin Franse und seine fantastische Frisierstube ein. Auf 12 doppelseitigen Tuschezeichnungen mit Farbcollagen lässt uns der junge österreichische Künstler an seinen mehr als freien Assoziationen rund ums Haar teilhaben. 10 Schritte braucht es bis zur fertigen Frisur: So werden Kämmen, Waschen, Schneiden oder Föhnen zu Ausgangsbegriffen für überbordende Bildwelten, deren Detailreichtum immer neue Geschichten erzählt. Die Vielzahl von Gestalten, Menschen, Tieren und Fantasiewesen, die sich im rapunzellangen Haar der Kundin tummeln, amüsieren in ihrem Zusammenspiel und für sich allein betrachtet. Intermediale Querverweise bieten auch den erwachsenen BetrachterInnen humorvolle Entdeckungen: Etwa wenn Fridolin Franse zum Thema "Färben" Hundertwassers Nase anpinselt oder Mona Lisa in unmittelbarer Nachbarschaft zu van Gogh an einem Schal strickt. Ein Bilderbuch-Debut, das den Rahmen des linearen Erzählens sprengt und den minimalistischen Text mit umso facettenreicheren Illustrationen verbindet.
Kinderbuch
Monika Helfer / Michael Köhlmeier
Rosie und der Urgroßvater
mit Illustrationen von Barbara Steinitz
Hanser Verlag 2010
144 Seiten
15,40 Euro
ab 10 Jahren
Jeden Mittwochnachmittag erzählt der Urgroßvater Rosie Geschichten aus einer Zeit und von einem Ort, die dem New Yorker Mädchen fremd sind – und die doch so viel mit ihr zu tun haben: Geschichten der jüdischen Bevölkerung "aus der kleinen Stadt Hohenems in Austrian Europe", lebenskluge, traurig-komische Episoden, wie jene der folgenschweren Verwechslung zwischen dem christlichen Erlöser und dem jüdischen Messias oder die vom Milchig-Löffel, der den anderen Löffeln eine flammende Rede hält. Die gewitzt-humorvollen Miniaturen nimmt der Großvater aber auch als Ausgangspunkt für die Erzählung seiner eigenen, von der Shoah geprägten Lebensgeschichte – und wenn er von seiner großen Liebe berichtet, kommen Vergangenheit und Gegenwart zusammen… Ein in seiner tiefgründigen Leichtigkeit beeindruckender Text, in dem die Vielfalt jüdischen Lebens deutlich wird. Nachwort und Glossar von Hanno Loewy, dem Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems, ordnen die Geschichten mit ihrer Lust an Übertreibung in den historischen Kontext ein.
Jugendbuch
Carolin Philipps
Wofür die Worte fehlen
Ueberreuter Verlag 2010
128 Seiten
9,95 Euro
ab 14 Jahren
Im Sprechen über sexuelle Gewalt schwingen schon durch die Wortwahl problematische Aspekte mit. So legt der gängige Begriff "sexueller Missbrauch" eigentlich nahe, es könnte einen legitimen "sexuellen Gebrauch" geben. Vor dieser Frage steht auch Literatur, die versucht, sich erzählerisch diesem Thema zu nähern. Der Titel des Jugendromans verweist darauf: Eigentlich fehlen die Worte, umso mehr, wenn der eigene Vater der Täter ist. Der 15-jährige Protagonist Kristian lebt seit Jahren mit den sogenannten Männerspielen des Vaters. Sein schulisches Umfeld ahnt längst, was mit ihm los ist, doch Kristian hat keine Worte, um sich jemandem anzuvertrauen. Eindringlich schildert die Autorin, stets ganz der Wahrnehmung Kristians verpflichtet, wie ihn der Vater mit dem gemeinsamen "Geheimnis" erpresst. Die einzige Möglichkeit sich auszudrücken, findet Kristian in der Welt der Mangas. Er kreiert ein Bild für das, was mit ihm geschieht: Eine Figur namens der Schwarze Ritter, vor dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Kurze Textabschnitte dieser Binnengeschichte sind klug in den Roman integriert. Im Manga kann ausgesprochen werden, wofür es in der Realität keine Worte gibt – und auf dieser Ebene trägt eine gleichaltrige Freundin entscheidend dazu bei, dass Kristian sein Schweigen bricht und sich schließlich Hilfe holt.
Kathrin Steinberger
Die Brüder von Solferino
Jungbrunnen 2010
224 Seiten
15,90 Euro
ab 12 Jahren
Die Schlacht von Solferino, deren schreckliche Folgen zur Gründung des Roten Kreuzes führten, ist ein sperriges Thema, das einiges an Wissen um historische und politische Kontexte erfordert. Um sowohl die Verwicklungen auf politischer Ebene als auch die Sicht der einfachen Bevölkerung zu transportieren, setzt Kathrin Steinberger in ihrem bemerkenswerten Debutroman drei sehr unterschiedliche Hauptfiguren ein: Da ist der 18-jährige Tiroler Bauernsohn Karl, der sich voll Idealismus freiwillig zur Armee gemeldet hat. Der 15-jährige lombardische Bursch Ricardo hingegen trauert um seinen Bruder, der von "den Österreichern" getötet wurde. Der Schweizer Geschäftsmann Henri Dunant schließlich reist dem französischen Kaiser nach, um Unterstützung in einer geschäftlichen Angelegenheit zu erwirken. Nach der Schlacht treffen sie in der Kirche einer lombardischen Stadt aufeinander: Karl schwer verletzt und auf Hilfe angewiesen; Henri Dunant überzeugt davon, dass auch feindliche Soldaten ein Recht auf medizinische Versorgung haben; und Ricardo, der zwischen seinem lang geschürten Hass und Mitgefühl schwankt. So komplex das Thema ist, so stimmig gelingt es, die politische mit der individuellen Ebene zusammen zu führen und dabei eine spannende und mitreißende Geschichte zu erzählen.