Über die Arbeit an den Preisbüchern 2012
Andrea Karimé über ihre Arbeit an Tee mit Onkel Mustafa
Der Grundimpuls zum Buch waren Erinnerungsbilder aus meiner eigenen Kindheit. In der Zeit bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 1975 besuchte ich regelmäßig in den Sommerferien den Libanon, die Heimat meines Vaters. Oft bin ich dem Land mit einer Mischung aus Faszination und Befremden begegnet. Mein Vater hat mich 1975 zu einem alten Onkel in seinem Dorf mitgenommen, der in einem Haus im ersten Stock über einem Baum gewohnt hat. Für mich hat er damals im Baum gewohnt, weil man auch über eine Leiter zu ihm kam. Der ganze Besuch war von Sonne und Tee und Feigen und Datteln durchwirkt, und eben mit dem Gefühl im Baum zu sein. Dieser Nachmittag war Ausgangspunkt zu der Figur, die ich dann entwickelt habe. Eine Figur, die Weisheit, wunderbaren Unsinn, Liebe zu Kindern, Frechheit, Güte und Humor verbindet und auf ihre Weise erklären kann, was nicht zu erklären ist. Nämlich Krieg. Der kurze Zeit später ausbrach. 1975. Den Ausbruch des Krieges habe ich miterlebt, glücklicherweise nur für kurze Zeit. Seitdem bin ich nicht mehr im Libanon gewesen.
Mitten in der Arbeit an Tee mit Onkel Mustafa kam es 2006 zynischerweise zum Luftangriff auf den Libanon. Da konnte ich erstmal nicht mehr weiterschreiben. Ich habe alles von Deutschland aus geschockt verfolgt, auch die Situation der Deutschlibanesen, die auf Urlaub dort waren. Diese neue Lage habe ich später, als der Krieg vorbei war, wie eine Folie auf die Orte meiner Erinnerung gelegt und ins Buch mit einbezogen.
Die Abenteuer des Mustafa waren schnell geschrieben, oft, aber nicht nur, habe ich Motive alter libanesischer Geschichten oder Nasrudin Geschichten verarbeitet, die ich als Kind gehört hatte.
Eine große Herausforderung waren aber die Rahmenhandlung und die Figur der Mina, die lange im Schatten von Onkel Mustafa stand. Das änderte sich, als ich sie Mustafas Sache in die Hand nehmen ließ. Eine Herausforderung war auch, den Stoff der Rahmenhandlung für Kinder zugänglich und notwendig zu machen, ohne in Klischees zu verfallen, zu beschönigen oder zu bagatellisieren. Und der Schluss wollte einfach nicht geschrieben werden. Der Krieg konnte ja nicht einfach enden, nur weil es zur Geschichte passt. Auch dabei half die Emanzipation der Mina. Sie mischte sich in große Entscheidungen ein. In Weltendinge. Und das wünsch ich mir: dass Erwachsene sich manchmal von der Sensibilität der Kinder leiten lassen.
Annette von Bodecker-Büttner über ihre Arbeit an Tee mit Onkel Mustafa
Die Autorin Andrea Karimé und ich sind uns durch einen wunderbaren Zufall begegnet, worüber ich nach wie vor sehr glücklich bin. Trotz unserer unterschiedlichen Herkunft, Andrea deutschlibanesisch, ich in Norddeutschland aufgewachsen, fand ich sofort emotionalen Zugang zu ihren Texten, ihren Geschichten. Darin ist eines der wichtigsten Themen, das Leben "zwischen den Welten", die Kulturen zweier Länder in sich zu tragen und dieses als Bereicherung, aber auch als Irritation und Suche zu erleben. Die Auseinandersetzung mit der Faszination, aber auch mit der Problematik, in beiden Kulturen verwurzelt zu sein und dennoch sowohl in der einen als auch in der anderen nicht ganz ein zu Hause zu finden, zieht sich durch alle Bücher Andrea Karimés.
Seit einer frühen Reise nach Nordafrika beschäftigte ich mich zunehmend mit Kunst und Kultur des Orients, deren Ornamentik mir in ihrer Farbenpracht und Symbolkraft, sei es die archaische Formensprache der Nomadenvölker oder die üppigen Arabesken, auf eigenartige Weise sehr nah, fast vertraut vorkam. Es bereitete mir großes Vergnügen, mich mit dem Symbolgehalt der Ornamentik auch in Teppichen zu beschäftigen und diesen zu entschlüsseln. Teppiche spielen ja in Andreas Büchern oft eine große, wenn nicht gar tragende Rolle in Verbindung mit Fantasie und eingewebten, eingeknüpften Geschichten und Bedeutungen. Weitere Reisen nach Ägypten vertieften mein Interesse auch und vor allem für das alltägliche Leben. Die Welten also, in denen Andreas Geschichten spielten, waren mir somit nicht fremd. Die dazugehörigen Bilder entstanden ganz selbstverständlich vor meinem inneren Auge. Die schwarz-weißen Illustrationen in Tee für Onkel Mustafa waren dennoch eine Herausforderung, da ich eigentlich am liebsten mit Farben und Formen collageartig fabuliere, was nun nur der Einband zeigt. Die Zusammenarbeit an diesem Buch war für mich deswegen so berührend und inspirierend zugleich, weil es voller Zauberhaftigkeit und Liebe steckt, ohne dass die Autorin halt davor macht, die vielschichtige Problematik des Krieges, des Auswanderns, mit dem das kindliche Leben der Protagonistin leider stellvertretend für so viele konfrontiert ist, zu integrieren. Tee für Onkel Mustafa ist ein weiteres Plädoyer dafür, wie wunderbare Begegnungen trotz allem möglich sind und uns bereichern, beglücken und reifen lassen.
Willy Puchner über seine Arbeit an Willy Puchners Welt der Farben
Bei dem Projekt von der Welt der Farben hat der Zufall mitgespielt.
Ich habe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) ein Bild über die Farben des Meeres angeboten und Freddy Langer, der Redakteur, fragte mich daraufhin, ob ich nicht – in Anlehnung an Goethes Farbenlehre – noch weitere Farben-Bilder entwickeln möchte. Nachdem ein Blatt nach dem anderen in der FAZ erschienen ist, hat mich Herwig Bitsche vom Residenz Verlag bezüglich einer Veröffentlichung eines Buches angesprochen. So entstand Willy Puchners Welt der Farben.
Farben waren für mich immer sehr wichtig, am liebsten hatte ich sie auf Farbkarten oder als geordnete Farbmuster, in Farbverläufen und immer in gewissen Abstufungen: Das gab mir das Gefühl, eine abstrakte Auflistung der Welt zu sehen. Darin sah ich einen Schlüssel für mein Ordnungssystem. In dem ich dann die Farben mit bestimmten Gegenständen, Stimmungen oder Gefühlen vermischte, konnte ich mit ihnen arbeiten, konnte auch mit ihnen spielen.
In der Welt der Farben suchte ich mir unterschiedliche Themen aus. Jede Landschaft, jede Stadt, jeder Inhalt evozierte seine eigenen, ganz spezifischen Farben. Dazu erfand ich Namen zu den Farben, die es im Grunde gar nicht gab; Barschrot unter Wasser, Pfifferlinggelb im Wald, Flechtengrün in der Antarktis, Kalaharibraun in der Wüste ... Glücklich war ich dann, wenn die eine oder andere Narretei ins Bild einfloss.
Kleinigkeiten oft, große Kindergedanken, die ich einfach zuließ. Ich verknüpfte die Farben mit losen Gedanken, Zitaten, kleinen Bildern und Fundstücken, ließ alles Mögliche von außen hineinströmen und verschloss mich auch nicht den traurigen Aspekten, bewältigte manchmal die Traurigkeit mit Ironie. Was aber das Wichtigste war: Ich ließ mir Zeit!
Ich sammelte Materialien, verwarf sie, sammelte weiter. Wenn ich ein Bild beendete, war eine Passage abgeschlossen. So, als wäre ich ein Stück weit übers Meer gefahren oder als hätte ich einen Tunnel durchquert. Dann reiste ich weiter zum nächsten Bild.
Michael Stavarič über seine Arbeit an Hier gibt es Löwen
Als ich Renate traf, wusste ich nicht, dass ich mich für Kinderbücher derart begeistern könnte. Und dass ich diese als eine ebenso große Herausforderung wie Romane erachten würde. Ohne Renate würde ich ganz gewiss keine weiteren Kinderbücher schreiben. Und selbst wenn ich mittlerweile (je nach Verlag) auch mit anderen Illustratorinnen arbeite, so stellt für mich die Verbindung zu ihr die kreative Basis in diesem Genre dar. Und nachdem das Arbeiten mit mir nicht immer ganz einfach ist – Renate ist mein Korrektiv. Und natürlich längst eine liebe Freundin.
Bei diesem gemeinsamen Buchprojekt war Renate eindeutig die treibende kreative Kraft. Ich arbeitete gerade unterschiedlichste Ideen aus, die einen losen Zyklus bildeten. Und als Renate all diese Unterlagen sah, schlug sie vor, doch aus einem der Teile gleich ein ganzes Buch zu machen. So entstand Hier gibt es Löwen. Wir beschäftigten uns in weiterer Folge mit bemalten Körpern und arbeiteten eine Dramaturgie aus. Ursprünglich hätten wir gern auch kleine Abziehtattoos für Kinder (ich selbst hatte es als Kind geliebt, mir diese aufzukleben) kreiert – doch dem Verlag war das leider zu teuer.
Ich glaube, dieses Buch ist insofern etwas Besonderes, weil es unterschiedlich eingesetzt werden kann, zum Beispiel als Lehrbuch der ersten anatomischen Grundbegriffe oder einfach auch nur als Rätselbuch, bei dem Kinder, die gar nicht lesen können, Löwen suchen müssen. Und wie bei allen unseren Büchern stelle ich fest – wir können auch die Erwachsenen als LeserInnen erreichen. Was für mich etwas ganz Essentielles ist.
Renate Habinger über ihre Arbeit an Hier gibt es Löwen
Das Besondere an unserer Zusammenarbeit: Neugier.
Das Thema Körpergestaltung und Verkleidung war mir sehr wichtig bei diesem Buch. Kinder lieben es ja, sich zu verkleiden. Und viele haben Eltern mit Tattoos. Das Buch ist formal ein kleiner Streifzug durch die Kulturen der Weltgeschichte – Tiere aus der Höhle von Lascaux zum Beispiel – kombiniert mit der Formensprache der Gugginger Künstler – verbunden mit unserem Alltag aus Gummibären und Computerbildschirmen.
Es ist wunderbar zu zeigen, wie reich unsere Welt ist.
Alice Wellinger über ihre Arbeit an Krokodil
Als Illustratorin steht am Anfang jeder meiner Geschichten das Bild im Kopf. Die nebenbei auf einen Fresszettel gekritzelte Zeichnung eines Krokodils mit Hut und Koffer, ließ mich nicht mehr los.
Wohin geht das Krokodil, woher kommt es? Das Krokodil nahm mich an der Hand und führte mich in seine Geschichte: die eines jonglierenden, am Rande der Gesellschaft lebenden Außenseiters.
Das Eintauchen in die eigene Kindheit schaffte die notwendige Empathie für die Gefühlswelt des Protagonisten. Irgendwann hat jedes Kind das Gefühl des Ausgegrenztseins erfahren. Ob aufgrund einer Brille, einer Zahnspange oder einer geerbten "uncoolen" Hose, die aufgetragen werden muss. Was aus der Norm fällt, wird von Kindern gnadenlos aufgespürt. Heute nennt man das wohl Mobbing. Im Mittelpunkt des Buches steht aber nicht nur das ausgegrenzte Krokodil, sondern auch das Katzenkind. Erst als beobachtender, dann als von Scham geplagter Mitläufer.
Im Gegensatz zum exotischen Krokodil habe ich die anderen Stadtbewohner als Haustiere dargestellt: die besorgte Häschenmutter, der wütende Boxerhund, die kluge Ziege. Sie alle bilden die panische Meute, die das Krokodil schlussendlich vertreibt. Entscheidend ist der Wendepunkt der Geschichte: der Augenblick der Einsicht und Reue, der Versuch der Wiedergutmachung mit dem Pflanzen eines neuen Baumes in die vermeintlich vom Krokodil gegrabene, in Wirklichkeit aber nur in den Köpfen der Stadtbewohner existierende Grube. Auch wenn das Katzenkind letztendlich umsonst auf die Rückkehr des Krokodils wartet, hat die Geschichte doch ein Happy End: Das Krokodil findet eine neue Heimat, irgendwo auf der Welt ... Ähnlichkeiten mit der noch nicht allzu lange vergangenen Geschichte unseres Landes sind nicht rein zufällig.
Der Text, auf ein Minimum beschränkt, ist das Bindeglied zwischen den Bildern. Die auf Transparentpapier angefertigten Bleistiftzeichnungen habe ich eingescannt und dann digital in starken, gedeckten Farben eingefärbt.
Ganz bewusst habe ich meine Arbeitsspuren auf dem Papier (mit Tixo geklebte Risse, Wellen und Falten) belassen, was einen lebendigen Hintergrund schafft.