Die PreisträgerInnen im Gespräch 2015
Echter und wirklicher als die bloßen Erinnerungen
Ein Gespräch mit Lizzy Hollatko
Sie wurden 1971 in Südafrika geboren und sind nach einigen Jahren in Deutschland und Griechenland 2005 fix nach Wien gezogen. Seit 2005 schreiben Sie Kinder- und Jugendliteratur. Sie sind also relativ spät zum Schreiben gekommen.
Lizzy Hollatko: Das Schreiben begleitet mich schon seit meiner Kindheit, und meine ersten Preise habe ich in Südafrika für das Vortragen von Gedichten bekommen. Das gesprochene und geschriebene Wort als künstlerisches Ausdrucksmittel hat mich gleichermaßen fasziniert. Infolgedessen interessierte ich mich später fürs Schauspielen, letztendlich landete ich beim Tanzen. In den anschließenden Jahren lebte ich an verschiedenen Orten. Von Kindheit an wusste ich immer, dass ich einmal schreiben werde. Als ich 2005 nach Wien kam, war es so weit.
"Der Sandengel" ist ihr erster Roman und wurde mit dem Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien sowie mit dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnet. Hat Sie das überrascht?
Lizzy Hollatko: Ja! Jedes Jahr entstehen viele interessante und preiswürdige Kinder- und Jugendbücher; einen Preis zu bekommen, ist immer eine Überraschung. Dass ich sie bekommen habe, bestärkt und unterstützt mich sehr in meiner Arbeit.
Wie wird denn das Buch von den LeserInnen aufgenommen? Etwa bei Lesungen?
Lizzy Hollatko: Die Lesungen sind ganz unterschiedlich, aber insgesamt bin ich erstaunt, wie sehr sich die Kinder in der kurzen Zeit in die für sie recht fremde Welt einleben und sich durchaus auf die vielfältigen Thematiken der Geschichte einlassen. Die Frage- und Gesprächsrunden im Anschluss zeigen dies oft recht deutlich. Eine sehr schöne Frage, mit der ein zirka 11-jähriger Junge am Ende der Lesung die Fragerunde bei der Buchmesse Wien eröffnete, war: "Können Sie weiterlesen, bitte?"
Die 11-jährige Rut Wanderer erzählt im "Sandengel" die kurze Geschichte eines Sommers in einer südafrikanischen Großstadt, sie erzählt über die Tage, die sie mit ihren 3 Schwestern und mit Freunden und Nachbarn in der Bloekomstraße verbringt. Und sie erzählt damit auch, was Apartheit und restriktive Rassenpolitik in den Jahren vor den freien Wahlen 1994 für die südafrikanische Gesellschaft bedeuteten.
Lizzy Hollatko: Ja, in erster Linie ist es eine Geschichte über Menschen und wie sie im Leben mit allen möglichen Themen zurechtkommen. Der zeitliche und örtliche Kontext zwang mich in gewisser Hinsicht, ein Buch zu schreiben, in dem ich aus der Sicht eines Kindes erzähle, was es bedeutete, zur Zeit der Apartheid Kind zu sein. Es ist eine sehr persönliche Sichtweise.
Ist das Ihre eigene Familiengeschichte? Haben Sie mit Ihren Schwestern und Ihrer Mutter in einem der 17 kleinen Backsteinhäuser am Bloekom Drive gelebt? Oder haben Sie Liv, Fee und Emma, Mariki, Soufie, Tom, Jacob, die Familie Hopkins, Oma und Opa Koppie erfunden?
Lizzy Hollatko: Zu sagen, es sei meine Familiengeschichte, wäre nicht ganz korrekt. "Der Sandengel" ist eine Geschichte für sich, in sich abgeschlossen. Meine persönliche Geschichte ist komplizierter, komplexer, trauriger. Aber ja: Ich habe mit meiner Mutter und meinen Schwestern in einer solchen Straße gelebt. Im Grunde gibt es für alle Straßen, Orte und Menschen im Buch Vorlagen in der realen Welt. Auch die emotionale Struktur des Buches spiegelt stark einen Teil meiner Kindheit wider.
Wie ist das Verhältnis zwischen persönlicher Erfahrung, Autobiographie und Roman, also zwischen erlebter und erzählter Geschichte?
Lizzy Hollatko: Die Frage ist schwierig zu beantworten. Beim Schreiben überlegt man sich ja solche Dinge nicht, weil man zuallererst einen literarischen Text verfasst. Im Grunde genommen habe ich mich – und das muss man als schreibende Person generell sehr oft – stark auf meine Erinnerungen verlassen. Sie standen mir sozusagen zur Verfügung, bildeten den Stoff. Ich schrieb 4 Jahre daran, überarbeitete das gesamte Manuskript 3 Mal. Als ich fertig war, hatte sich die Geschichte meiner Kindheit insofern verändert, als dass sie nun eine Form hatte. Diese scheint mir gelegentlich echter und wirklicher zu sein als die bloßen Erinnerungen. Ich glaube, wenn man sich tief genug in den Schreibprozess einlässt, wird man mit einer Klarheit belohnt, die man im Leben nicht so leicht findet.
Ist es leichter, aus der eigenen Erfahrung zu erzählen? Oder ist es leichter, Geschichten zu erfinden?
Lizzy Hollatko: Ich habe, wenn ich einen Text verfasse, eigentlich nie das Gefühl, dass ich etwas erfinde. Ich habe eher das Gefühl, ich müsse übersetzen. Es macht für mich gefühlsmäßig auch keinen Unterschied, ob ich einen Text für Kinder oder für Erwachsene schreibe. Aber um doch noch auf ihre Frage zurückzukommen: Ich finde es einfacher und ökonomischer, die reale Welt als Vorlage für Fiktion zu nehmen. Ich erfinde nicht gerne Welten von Grund auf neu. Dafür bin ich zu langsam und doch eher an inneren Prozessen interessiert. Gleichzeitig will ich auch nicht behaupten, ich schreibe nur aus der eigenen Erfahrung. Ich schreibe aus dem Teil meines Selbst, der sich mir immer wieder entzieht – und genauso schwer fassbar ist wie Sprache.
Sie schildern im "Sandengel" den alltäglichen Rassismus, der alle Lebensbereiche durchdringt und vergiftet. Wie haben Sie das selbst erlebt?
Lizzy Hollatko: Vieles davon habe ich ja im "Sandengel" erzählt. Aber ich weiß nicht, ob sich ein Europäer die während dieser Zeit vorherrschende Atmosphäre voller Angst, Hass und Anspannung wirklich vorstellen kann. Es wurde damals nie darüber gesprochen, auch in der Schule nicht. Die Situationen, in denen weiße Männer Schwarze in Gegenwart von uns Kindern erniedrigten, haben mich tief erschüttert. Als Kind spürt man instinktiv, dass etwas sehr schief läuft. Im Allgemeinen galt die Regel: Ein Kind redet nur, wenn es gefragt wird. Zum Glück hatte ich so kluge Schwestern, wir redeten und diskutierten viel miteinander über alles. Und natürlich war es unsere Mutter, deren Verhalten uns stark geprägt hat, die uns vorgelebt hat, dass ein respektvoller, würdiger Umgang miteinander über allem anderen steht.
Die 4 Schwestern und ihre Mutter leisten Widerstand. Nicht in dem Sinne, dass sie eine politische Protestbewegung ins Leben rufen, sondern indem sie sich in alltäglichen Dingen Schwarzen gegenüber genauso verhalten wie Weißen. Dennoch herrscht auf beiden Seiten Vorsicht, Misstrauen und Angst.
Lizzy Hollatko: Die Apartheid war ein Regime, man lebte wie in einem Polizeistaat. Schwarze mussten stets einen Pass mit sich tragen, konnten jederzeit von der Polizei kontrolliert und bei dem kleinsten Verbotsübertritt verhaftet werden. Weiße, die aus der Reihe fielen, standen sofort unter Verdacht und wurden jahrelang von der Geheimpolizei überwacht. Auf der anderen Seite war die Kriminalität sehr hoch, und wenn Schwarze in ein Haus einbrachen, musste man auch um sein eigenes Leben fürchten. Eine alleinstehende Frau mit Kindern, ohne Wachhund und ohne Waffe, lebte gefährlich. Unser Glück war, dass wir arm waren.
Waren Sie nach dem Ende der Apartheit in Südafrika?
Lizzy Hollatko: Nein, ich persönlich nicht, aber einige meiner Familienmitglieder. Ich würde sagen: ein Land voller Gegensätze, ein sehr interessantes Land.
Ist dieses Thema jetzt für Sie abgeschlossen, oder planen Sie eine neue Geschichte aus dieser Zeit zu erzählen?
Lizzy Hollatko: Für mich ist es mit dem "Sandengel" abgeschlossen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich natürlich schwer sagen, ob das Thema nicht vielleicht in dem einen oder anderen Text wieder auftaucht.
Sie erzählt echten Kindern ehrliche Geschichten
Ein Gespräch mit Cornelia Hladej, der Lektorin von "Eva im Haus der Geschichten"
"Eva im Haus der Geschichten" ist ja vieles, und es ist meiner Meinung nach auch ein Buch über 3 Generationen, die ein vergleichbares Problem haben. Ihnen fehlt etwas, sie alle haben etwas verloren ...
Cornelia Hladej: So ist es. Der Arbeitstitel für das Buch lautete "Herbstkatzen". Im Grunde steckt die Geschichte von Eva und ihrem Onkel voller Herbstkatzen. Lauter Menschen, Tiere und Träume, die irgendwie zu spät gekommen sind, von der Gesellschaft nicht für voll genommen werden. Die sich abgeschoben fühlen, die vermeintlich keiner haben will. Sie sind "etwas schief ins Leben gebaut". Wie gehen sie damit um? Wie kommen sie mit ihrer Einsamkeit zurecht? Welche Lösungen finden sie? Müssen es überhaupt Lösungen sein oder nur neue Perspektiven?
"Eva im Haus der Geschichten" ist weder eine Heile-Welt-Geschichte noch eine Unglücksgeschichte. Die kleinen und großen Freuden des Lebens halten sich die Waage mit den unangenehmen Dingen, die einem passieren können, und den Ärgernissen und den Kränkungen, denen man sich völlig unverschuldet ausgesetzt sieht.
Cornelia Hladej: So geht es den meisten von uns. Marjaleena Lembckes Figuren sind – bei aller Sensibilität, Klugheit und Verträumtheit – immer auch alltagserprobt. Sie entwickeln sich.
Können Sie uns etwas über die Figuren erzählen?
Cornelia Hladej: Sie alle teilen das "Herbstkatzen-Schicksal". Eva beobachtet sehr genau, ihr kann keiner etwas vormachen. Sie macht sich ihren eigenen Reim auf das, was die Erwachsenen so sagen, sie hinterfragt aber auch alles, was ihr unverständlich oder gar unsinnig erscheint. Mit ihrem Onkel Oliver, der ihr zuerst fast exotisch vorkommt, findet sie schnell eine gemeinsame Basis, eine seelische Nähe. Ohne Job, ohne Geld und ohne eigene Familie lebt Oliver abseits der Norm. Außerhalb der Strukturen, die Eva (noch) als die allgemein gültigen kennt. Im Verlauf der Geschichte lernt sie andere Menschen, deren Sehnsüchte und Lebensentwürfe kennen: Oliver, den Lebenskünstler, den Seiltänzer ohne Netz; Lucas und seine Mutter, die ohne Vater zurechtkommen (anders als Eva, die ja zu ihrem Vater guten Kontakt hat); Olivers unbekannte Tochter, ebenfalls auf gewisse Weise vaterlos; Herrn Diederich, der seine Verletzungen und Einsamkeit hinter einer mürrischen Fassade versteckt. Der aber seinen liebevollen Kern widerwillig offenbart, als er mit den ehrlichen Fragen der Kinder konfrontiert wird. Und mit dem Kätzchen, natürlich. Eva ist im Grunde ein sehr stabiler, konstanter Charakter. Sie erweitert ihre Kreise und lernt, ihre Position zu behaupten.
Ist es wichtig, auch junge LeserInnen mit den Wechselfällen des Lebens zu konfrontieren?
Cornelia Hladej: Ich denke, dass dies Marjaleena Lembcke ein großes Anliegen ist. Sie erzählt echten Kindern ehrliche Geschichten. Und sie bietet immer ihren ganz eigenen, zauberhaft unmittelbaren Blickwinkel an; sie lädt ein, hinter die Dinge zu blicken und ihnen auf diese Weise den ersten Schrecken zu nehmen.
Geschichten – und Oliver erzählt eine Menge davon – können trösten, erklären und anschaulich machen, was man intellektuell vielleicht nicht ganz so leicht verstehen kann. Woher kommt das Vertrauen in diese Kraft des Geschichtenerzählens?
Cornelia Hladej: Aus der finnischen Märchentradition und aus eigener Erfahrung. Marjaleena Lembckes Vater war ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler, sie war seine aufmerksamste Zuhörerin. Eine große Liebe, die in ihren Büchern nachwirkt.
In "Eva im Haus der Geschichten" gibt es zahlreiche wunderbare Dialoge. Besonders die Gespräche zwischen den beiden Kindern, also Eva und Lucas, und zwischen Eva und ihrem Onkel entwickeln einen großen Charme und einen freundlichen Witz.
Cornelia Hladej: Das stimmt und macht eine der ganz großen Qualitäten dieser Autorin aus. Marjaleenas Humor ist subtil, elegant und unvergleichlich.
"Der Kopf ist ja nicht dafür da, dass man immer denkt!", sagt Eva. Und auf die Frage, wofür er denn da sei, antwortet sie: "Für die Augen und Ohren und den Mund und die Nase. Kopf ist nicht nur Kopfdenken." Dem kann man wohl auch als Erwachsener zustimmen.
Cornelia Hladej: Auf jeden Fall. Auch eine der Stärken von Marjaleena Lembcke: Trockene, schnörkellose Sätze, die ihren LeserInnen und GesprächspartnerInnen zuerst ein überraschtes Lachen entlocken, sie dann aber bereichert und beglückt nachspüren lassen. Immer wieder erstaunlich. Marjaleena ist ein wunderbarer Mensch. Ihre Bücher sind wunderbar. Es ist eine Freude und Ehre, einige davon zu verlegen.
Bilder im Kopf oder Von der Kunst, die richtige Idee einzufangen
Ein Gespräch mit Elsa Klever
Sie sind beim diesjährigen Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis gleich mit 2 Büchern vertreten, in der Kollektion mit Ihrem Bilderbuch "Fische im Wohnzimmer", und zum Kinderbuch "Eva im Haus der Geschichten" haben Sie die Bilder beigesteuert.
Elsa Klever: Die Geschichte zu "Fische im Wohnzimmer" habe ich vor einigen Jahren mal geträumt. Die erste Herausforderung war also, die Bilder aus meinem Kopf aufs Papier zu bringen. Ich entschied mich dafür, die Story ohne Worte zu erzählen. Wortlose Bilderbücher haben mich schon immer fasziniert. Sie vermitteln dem Betrachter eine Geschichte und lassen trotzdem Freiraum für eine ganz eigene Interpretation, das finde ich toll! Mein Unterwasserabenteuer nur in Bildern, ganz ohne Hilfe von Worten oder Erklärungen, zu beschreiben, war dann die zweite Herausforderung. Bei "Eva im Haus der Geschichten" hatte ich natürlich Marjaleena Lembckes schönen Text als Grundlage. Meistens lese ich einen Text und lege ihn dann für ein paar Tage beiseite, um zu schauen, was mir hängen geblieben ist und welche Bilder in meinem Kopf entstanden sind. Daraus entwickle ich dann meine Bildideen.
Hatten Sie bei der Arbeit an den Illustrationen Kontakt zu Marjaleena Lembcke?
Elsa Klever: Ja, schönerweise hat der Verlag hier den Kontakt hergestellt. Wir haben telefoniert und uns E-Mails geschrieben. Die Autorin selbst zu ihrer Geschichte befragen zu können, fand ich hilfreich. Nach den Gesprächen mit Marjaleena habe ich einige Entwürfe dann nochmal überarbeitet.
Wie suchen Sie denn die Stellen in einem Buch aus, die Sie dann in ein Bild verwandeln wollen?
Elsa Klever: Meistens, so auch bei "Eva im Haus der Geschichten", lege ich – wie schon beschrieben – den Text für ein paar Tage beiseite und schaue dann, welche Szenen mir im Gedächtnis hängen geblieben sind. Dass sind in der Regel Textstellen, die irgendwie merkwürdig oder witzig sind, und solche, die mich rühren. Wenn Eva sich wie ein "alter Sessel" fühlt oder Herr Diederich sich wie ein "alter bockiger Esel" aufführt, dann entstehen bei mir gleich Bilder im Kopf. Das Tolle an Illustration ist natürlich auch, dass man eine Szene weiterdenken und Bilder kreieren kann, die im Text so gar nicht vorkommen. Wenn Jonas sagt, dass er sich 10 Hunde kaufen wird, wenn er groß ist, dann stelle ich mir sofort vor, wie das wohl aussehen könnte.
In einem Interview haben wir gelesen, dass Ihre Ideen spontan kommen, und zwar aus Träumen und wenn Ihnen langweilig ist. Und dass Sie zum Arbeiten Musik und Kaffee brauchen. Können Sie den kreativen Prozess genauer beschreiben?
Elsa Klever: Schwierig. Da ist viel Intuition im Spiel, Bauchgefühl, aber auch Training. Die Kunst ist es, die richtige Idee, wenn sie vorbei fliegt, einzufangen. Irgendwo macht es Klick und dann weiß ich, das ist sie! Bauch und Kopf sind sich einig und dann dürfen die Hände ran. Kaffee und Musik helfen dabei dran zu bleiben, wenn die Idee auf sich warten lässt.
Schwarz? Mit viel Zucker?
Elsa Klever: Ohne Zucker. Mit viel Milch.
Und die beste Musik zum Arbeiten?
Elsa Klever: Das ist sehr tagesformabhängig beziehungsweise abhängig davon, an welcher Stelle im Arbeitsprozess ich mich befinde. Wenn ich noch auf Ideensuche bin, brauche ich etwas Ruhiges, am liebsten was Instrumentales, weil Stimmen dann ablenken. Sobald die Idee da ist, darf's gerne lauter, schneller, wilder werden. Musik ist super, um die eigene Stimmung und damit auch die Bildstimmung zu beeinflussen.
Sie malen ausschließlich per Hand. Kein Computer? Warum?
Elsa Klever: Weil Handgemachtes unglaublichen Charme hat! Einen Charme und eine Qualität, an die digitale Arbeiten selten herankommen.
Bevorzugen Sie eine bestimmte Maltechnik?
Elsa Klever: Ich arbeite vor allen Dingen mit hochpigmentierter Zeichentusche. Das war Liebe auf den ersten Blick.
Bis das Material und die Hand sich geeinigt haben
Ein Gespräch mit Renate Habinger
Sie gehören zu Österreichs wichtigsten IllustratorInnen und haben für Ihre Arbeit bereits mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten. Jetzt legen Sie gemeinsam mit Verena Ballhaus das Buch "Kritzl & Klecks" vor, ein Bilderbuch und gleichzeitig das Making-of eines Bilderbuchs. Können Sie es uns kurz beschreiben?
Renate Habinger: Naja, eigentlich beschreibe ich ungern, was ich gemacht habe, weil ja jeder Mensch einen anderen Blick darauf hat und den möchte ich nicht vorwegnehmen. Aber vielleicht nur so viel: Ja, es gibt diese beiden Ebenen, die erzählenden Seiten und mit den Aufklappseiten den Blick hinter die Kulissen – also das, was Sie Making-of nennen.
Haben Sie sich mit "Kritzl & Klecks" auch selber einen Wunsch erfüllt?
Renate Habinger: Ich wollte sehr gern mal ein Buch mit Verena Ballhaus gemeinsam machen, und mit "Kritzl & Klecks" ist das gelungen. Wenn man ein Projekt angeht, dann stellt sich natürlich die Frage nach der Idee, dem Thema. Wir sind – wenn ich mich recht erinnere – bald auf die grundlegenden Komponenten visuellen Gestaltens gekommen: auf Linie und Fläche. Und diese Dualität haben wir nach den Vorarbeiten an den Figuren auf unsere beiden Personen aufgeteilt.
Wie ist es zur Zusammenarbeit im Duo gekommen?
Renate Habinger: Wir haben ein paar Mal bei der Sommerschule für Kinderbuchillustration im Schneiderhäusl in Oberndorf an der Melk gemeinsam unterrichtet und es war immer bereichernd und inspirierend. Da lag die Frage nach der Arbeit an einem gemeinsamen Buch nicht so fern. Wenn man das erste Mal zusammenarbeitet, wie in unserem Fall, dann muss man erst einmal lernen, wie das zu machen ist. Bei uns war es so: Zuallererst haben wir die Figuren sowohl zweihändig als auch vierhändig versucht. Nebeneinander sitzend. Immer wieder besprechend, weiterarbeitend … Und nachdem uns Verenas Kritzl gut gefallen hat – eine erste Entscheidung–, ist Frau Klecks eher automatisch an mich gefallen – zum Glück hat uns einer meiner Klecksens gefallen. In dieser Zweiteilung ist es dann weitergegangen: Verena kritzelnd, ich klecksend. Manchmal am gemeinsamen Arbeitstisch, manchmal getrennt. Zuletzt haben wir gemeinsam die Seiten fertiggestellt. Da ist ein intensiver Austausch doch sehr wichtig – jede Winzigkeit auf einem Bild hat ja Einfluss aufs Ganze.
Durch die ausklappbaren Doppelseiten wird das Lesen, das Blättern und Betrachten zu einem spannenden Erlebnis.
Renate Habinger: Sobald man genau schaut, gibt es ja zu jedem Bild einiges zu sagen. Und ums genaue Schauen ist es uns letztlich gegangen bei "Kritzl & Klecks". Oft stellt man sich beim Anschauen eines Buches die Frage: Wie ist das wohl gemacht? Durch die Einführung der Aufklappseiten konnten wir ein Schlaglicht auf einen Aspekt ermöglichen, also einen kleinen Blick hinter die Kulissen.
Sie haben auch reichlich Erfahrung im pädagogischen und im Ausbildungsbereich gesammelt. Blättert man "Kritzl & Klecks" durch, so kriegt man richtig Lust auf Papiere aller Art, auf Stifte und Farben, aufs Zeichnen, Malen und Drucken. Ist "Kritzl & Klecks" ein Aufruf zur eigenen Kreativität?
Renate Habinger: So kann man das sicher auch sehen. Jedenfalls sehe ich das Buch auch als Möglichkeit zur Annäherung ans Visuelle, an Gestaltung. Vielleicht ist es im besten Fall ein Brückenschlag zu unterschiedlichsten Bereichen: selbst etwas ausprobieren, Bilder lesen, über Bilder sprechen, selbst Geschichten dazu erfinden …
Kann eigentlich jeder Mensch zeichnen und malen?
Renate Habinger: Normalerweise kann jeder Mensch einen Stift halten und so auf jeden Fall kritzeln und zeichnen. Aber Sehen und Erkennen sind langwierige Prozesse, deshalb ist es mit dem Können vielleicht nicht so einfach.
Was zeichnet denn Ihrer Meinung nach gute IllustratorInnen und gute Illustrationen aus?
Renate Habinger: Oje, da müssen Sie jemand Gescheiteren fragen. Aber Neugier und visuelle Sensibilität sind sicher von Nutzen. Und auch ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen in eine Idee, in ein Thema – und deren Um-/Übersetzung ins Bild.
Das Buch zeigt auch, dass die Arbeit des Bildermachens ein sehr sinnlicher Prozess ist, also dass man es mit unterschiedlichen Substanzen, Materialien und Hilfsmitteln zu tun kriegt. Mit Kreiden, Federn, Stiften, Pinseln, Farben, Messern, Schabern usw. Da geht es hoch her, wenn das Bild entsteht und aufs Papier kommt, um schließlich im Buch gedruckt zu werden! Dort ist dann alles sauber und rein … Ist dieser Arbeitsprozess ein Teil der Faszination der Arbeit des Illustrierens?
Renate Habinger: Der sinnliche Teil ist sicher ein lustvoller. Allerdings auch ein Ringen, bis das Material und die Hand sich geeinigt haben. Darüber hinaus ist die Technik, das Material enorm wichtig, weil sie/es meiner Meinung nach den Ausdruck eines Bildes, eines Buches und auch die Darstellungsmöglichkeiten (mit)bestimmen, Computer eingeschlossen. Was für ein Glück, dass einem aus dem Buch nicht das ganze Zeug entgegenkugelt, das wir verwendet haben, das wär was!
Der Zeichen- und Bildarbeit am Computer fehlt zur Gänze dieser Aspekt der Materialität.
Renate Habinger: Der Computer produziert eine eigene Materialität, würde ich sagen. Man sieht das ja oft gleich, wenn ein Bild am Computer entstanden ist – so wie man auch eine Federzeichnung oder eine Radierung erkennt. In der Kombination von analogem und digitalem Arbeiten ermöglichen aber Programme Dinge, die auf dem Papier nicht oder nur sehr schwer machbar sind. Auch wir haben den Computer viel und entscheidend bei "Kritzl & Klecks" eingesetzt. Ohne Computer würde das Buch völlig anders aussehen!
Haben Sie Techniken und Methoden, Farben und Stifte, die Sie besonders gerne benutzen?
Renate Habinger: Meine Vorlieben ändern sich zwar immer wieder, aber derzeit mag ich kratzige, kaputte Pinsel gern (ein Mal verwenden und sie sind ja schon kaputt!) mit dicker schwarzer Temperafarbe – in Kombination mit Buntstiften. Das betont auch den Weißraum rundherum.
"Kritzl & Klecks" gibt auch einen kleinen Einblick in die kreative Welt der beiden Künstlerinnen Verena Ballhaus und Renate Habinger. Ganz persönlich gefragt: Was fasziniert Sie denn an Ihrem Beruf?
Renate Habinger: Ganz viel, ich weiß gar nicht, wo anfangen. Jedenfalls ist das Buch ein kleines Ding mit großer Wirkung! Vielleicht nur ein Aspekt: Jedes Buch ist eine Tür in eine persönliche Welt, die hinter dem Alltäglichen liegt, unter der Oberfläche. Die "Welt im Kopf" erhält eine Wirklichkeit, die Dimension des Menschlichen erweitert sich um diesen enormen Raum der Gedanken und Ideen. Diese Dimension ist oft sehr berührend.
Spielen und Experimentieren
Ein Gespräch mit Verena Ballhaus
Sie gehören zu Deutschlands wichtigsten IllustratorInnen und haben für Ihre Arbeit bereits mehrere Preise und Auszeichnungen erhalten. Jetzt legen Sie gemeinsam mit Renate Habinger das Buch "Kritzl & Klecks" vor, ein Bilderbuch und gleichzeitig das Making-of eines Bilderbuchs.
Verena Ballhaus: Texte, fiel uns immer wieder auf, werden meist ganz lässig nacherzählt, beschrieben, zusammengefasst. Doch kaum sind Bilder im Spiel, humpelt die Beschreibung eher mühselig herum, falls sie überhaupt was sagt. Illustrationen im Buch als Zierrat, als "Untermalung". Ja gut! Aber warum wird darüber hinaus so wenig von der Bildaussage als einer autonomen wahrgenommen? Warum wird die Machart so selten erwähnt? Dem abzuhelfen, kamen wir auf die Idee zu diesem Werkstattbuch: einem Buch übers Bilderfinden, Bildermachen, über das Denken in Bildern und das Wahrnehmen von Bildern. Formal wie inhaltlich. Was wir auf einer "Bilderbuchbühne" sehen, ist ja nicht vom Himmel gefallen, sondern hat sich entwickelt, nach und nach. Schauen wir mal, was hinter den Kulissen in der Werkstatt geschieht. Da gibt es ganz geradlinige Arbeitsschritte, aber vor allem betrachten wir neugierig den Arbeitsprozess, wie er sich laufend verändert, wie Form und Inhalt sich unterdessen gegenseitig beeinflussen und verwandeln.
Die Geschichten von und über und mit Linien und Flächen zu erzählen, was sie verbindet, was sie unterscheidet, wollten wir zwei Figuren überlassen, die diese beiden so eigenwilligen Gestaltungsformen anschaulich verkörpern können. Ganz wichtig war uns dabei die minimale Handlung: nur eine Folge mehrerer Tage, deren Verlauf sich jedoch in Text und Bild unterschiedlich wiederholt. Die Bilder erzählen inhaltlich und formal in ihrem eigenen Rhythmus. Ganz bewusst haben wir versucht, die Handlung genauso stark über die konkreten Bildinhalte wie über die jeweiligen Techniken der Bilder auszudrücken. Apropos Form, die Buchform: Um das "Auf und hinter der Bühne"-Geschehen zu veranschaulichen, schienen uns Ausklappseiten zur Entdeckung ideal geeignet.
Wie haben wir uns die Zusammenarbeit konkret vorzustellen?
Verena Ballhaus: Widersprüchliches auszuhalten und zu ersinnen ist unser täglich Brot, gewürzt mit Selbstzweifeln in allen Farben. Da beruhigt es und ist gleichzeitig überaus anregend, zu zweit unterwegs zu sein. Zuvor hatten wir ja schon einige Workshops miteinander gemacht, wir kennen und schätzen unsere Eigenheiten und können uns gut anfeuern. Formal hatten wir uns entschieden, die Hauptrollen 2 recht grundlegenden Gestaltungsprinzipien zu geben: Linie und Fläche = Herr Kritzl und Frau Klecks, mit entsprechender Aufteilung auf den Doppelseiten. Renate hat die Frau Klecks übernommen, ich den Kritzl, sodass unsere Bereiche einigermaßen klar abgegrenzt waren. Eigentlich. Aber natürlich war der Weg dorthin sprunghaft (vor und zurück!) und von vielen Experimenten und 1 000 Skizzen gesäumt, bis wir bei dieser herrlichen Zweiheit angelangt waren. In der praktischen Zusammenarbeit haben wir uns immer wieder getroffen und zusammen besprochen, geplant, gezeichnet, gemalt, geschabt, gekratzt, oft die Blätter hin und her getauscht, bis es "gemeinsam" wurde. Dann arbeiteten wir auf unseren jeweiligen Seiten separat weiter (wir wohnen ja weit voneinander entfernt). Montiert und collagiert haben wir die eingescannten Seiten am Rechner. Auf diese Weise konnten wir alles austauschen und uns schnell gegenseitig zeigen.
So geht es halt los: Erste Entwürfe, x Möglichkeiten, Irrtümer, Entscheidungen, Umentscheidungen entwickeln sich. Die Idee und der Weg dorthin. Wie funktioniert das? Wie beeinflusst sich das gegenseitig? Wie verändert sich die Idee dabei? Ganz real wollten wir in "Kritzl & Klecks" unsere Arbeitsweise zeigen, Irrwege zwischen Planbarem und Zufall, Chaos und Struktursuche inklusive. Den endgültigen Kritzl- und Klecksgestalten trauten wir dann in ihrer Einfachheit die Prägnanz und Anpassungsfähigkeit zu, vor den doch oft sehr kleinteiligen Szenerien bestehen zu können.
Ständig werden in "Kritzl & Klecks" die Karten frisch gemischt, und die Utensilien neigen sowieso zu einem Eigenleben: eitle Pinsel, die sich spreizen, bissige Scheren, Federn, die viel mehr Tusche trinken, als sie vertragen. Vermutlich können Kinder da ohnehin mehr aushalten als wir Erwachsene, oder sie pflücken sich halt nur so viel heraus, wie sie gerade brauchen. Aber ist es nicht auch verwirrend, wenn ein Bild stets wie aus dem Ärmel geschüttelt erscheint? Ganz und gar festgefügt und fix und fertig?
Blättert man "Kritzl & Klecks" durch, so kriegt man richtig Lust auf Papiere aller Art, auf Stifte und Farben, aufs Zeichnen, Malen und Drucken. Warum ist Basteln und künstlerisches Gestalten für die kindliche Entwicklung wichtig?
Verena Ballhaus: Weil da nicht gleich so direkt auf ein genau abgestecktes Ziel losgestürmt werden muss? Weil beim Basteln/Zeichnen/Malen eine Neugier da ist, auf den Weg und auf dem Weg, und keine Angst vor Umwegen und Überraschungen, sondern Lust auf Spielen und Experimentieren, und eine Freude, wie es immer besser gelingt? Das ist allerdings wichtig, denke ich.
Kann eigentlich jeder Mensch zeichnen und malen?
Verena Ballhaus: Unbedingt! Bloß hat viel zu oft ein jeder eine riesige Zensurschere im Kopf.
Was zeichnet denn Ihrer Meinung nach gute IllustratorInnen und gute Illustrationen aus?
Verena Ballhaus: Außer dem ästhetischen Aspekt? Ich denke, der Mut zur Lücke, der Mut zur Widersprüchlichkeit.
Das Buch zeigt auch, dass die Arbeit des Bildermachens ein sehr sinnlicher Prozess ist, also dass man es mit unterschiedlichen Substanzen, Materialien und Hilfsmitteln zu tun kriegt. Mit Kreiden, Federn, Stiften, Pinseln, Farben, Messern, Schabern und so weiter. Da geht es hoch her, wenn das Bild entsteht und aufs Papier kommt. Gibt es Lieblingstechniken im Buch?
Verena Ballhaus: Ja, die linearen, mit allen nur denkbaren und x-beliebigen Stiften und Kreiden. Persönlich mag ich besonders die negative Linie, die aus der Fläche herausgekratzte wird, oder die durch ein farbiges Material (wie durch ein Blaupauspapier) durchgedrückte, aber auch die abgeklatschte aus Tinte. Oder nehmen Sie einen grüner Buntstift: Wie schaut der gleiche Strich aus? Einmal auf dünnem Transparentpapier, einmal auf dick weiß grundiertem Papier? Auf verkratztem Papier? Oder auf dunklem Grund? Spannend! Dann Flächen. Wann und wie werden aus Linien Flächen? Gärten aus fett gedruckten Moosgummistückchen und Fingerabdrücken legen wir an, pflanzen gepinselte Schnipsel hinein, kochen eine Suppe aus Grundfarben, gießen Aquarelliges, hier kommt was weg und da wieder was hin. Aber HALT! Jetzt wird es uns zu bunt! Schnell alles mit schwarzen Wachskreiden wieder zukritzeln und mit dem Stichel ganz zarte Traumranken hineinträumen. Ui, da kommt die Schere ...
Der Zeichen- und Bildarbeit am Computer fehlt zur Gänze dieser Aspekt der Materialität.
Verena Ballhaus: Das Zeichnen und Malen findet bei mir zwar immer erst außerhalb vom Bildschirm statt, aber dann: Das Spiel mit den eingescannten Bildern am Rechner, wie es da so funkelt und schimmert und sich herumjonglieren lässt auf verschiedenen Bildebenen, ist interessant! Ein bisschen wie der Unterschied zwischen Theater und Film. Wenn ich eins zu eins zum Bild im Buch das Original auf dem Papier ablege, ist der Prozess viel chronologischer, homogener. Was natürlich einen sehr hohen Reiz hat, wie sich da Schicht über Schicht legt. Und das Blatt dabei immer schwerer wird. Dann wasche ich vielleicht alles wieder herunter und freue mich über die Arbeitsspuren. Oder ich zerreiße alles und fange neu an. Das ist zwar alles auch ein Riesenzickzack, aber es bleibt in seiner Gesamtheit. Das fühlt sich dann eher an wie ein Theaterstück. Wenn ich hingegen das Bild in einzelne Sequenzen aufgelöst habe und damit am Bildschirm weiter experimentiere und collagiere, meist in Zeitsprüngen und gar nicht parallel zum Handlungsverlauf der Geschichte, denke ich manchmal an Dreharbeiten zu einem Film.
Was fasziniert Sie denn an Ihrem Beruf?
Verena Ballhaus: Das Unvorhersehbare? Nervt gewaltig und ich hätte gern mehr innere Ruhe bei der Arbeit, eigentlich. Ist aber halt sehr spannend!
Die ganze Welt steckt voller Abenteuer
Ein Gespräch mit Sarah Michaela Orlovský
Sarah Michaela Orlovský, Jahrgang 1984, in Oberösterreich geboren, hat ihr Notizbuch an der Uni Wien sowie in Sambia, Armenien, Äthiopien, der Slowakei und Ruanda gefüllt. Seit Neuestem erprobt sie die Eigenheiten des sesshaften Lebens in Vöcklabruck. So steht es in Ihrem Lebenslauf. Wie geht es Ihnen dabei? Ich meine, beim sesshaften Leben.
Sarah Michaela Orlovský: Das fühlt sich soweit gut an. Und wenn mich doch die Reiselust packt, kann es ja auch ein kleiner Urlaub in Europa sein. Oder eine Lesereise. Das Unterwegssein gehört einfach zu mir dazu. Eine ganze Woche lang nur zu Hause zu sein, ohne einen Ausflug – das fällt mir echt schwer.
Nützt einem das beim Schreiben?
Sarah Michaela Orlovský: Auf jeden Fall. Schreib-Ideen entstehen bei mir durch Impulse von außen. Ich sehe oder höre etwas Interessantes – und das lässt mich nicht mehr los. Es arbeitet in mir und läuft Runden in meinem Kopf und am Ende entsteht eine Geschichte drumherum. Das funktioniert natürlich auch zu Hause. Die ganze Welt steckt voller Abenteuer, man muss nur aufmerksam genug sein. Aber unterwegs geht es leichter. Wo alles neu ist, da sind Augen und Ohren wacher.
Und was steht denn so alles in Ihrem Notizbuch?
Sarah Michaela Orlovský: Da finden sich zum Beispiel schöne Sätze. Beim Skifahren hat etwa jemand gesagt: "Heute hatten wir strahlend blauen Sonnenschein!" Das hat mir gefallen. Das verwende ich sicher in einem Buch. Oder ich klebe kuriose Zeitungsausschnitte ein, wie den Bericht über Neoprenanzüge für Pferde.
In der frisch-fröhlichen Geschichte "Valentin, der Urlaubsheld" schicken Sie den kleinen Valentin samt Familie nach Griechenland, wo dann alles anders kommt, als man es erwartet hätte. Für uns LeserInnen ist das ja komisch, für den Valentin weniger.
Sarah Michaela Orlovský: Genau, der hat ziemlich dran zu knabbern, dass seine Vision vom perfekten Urlaub so ganz anders ist als die seiner Eltern. Gut, dass er einen Freund findet in diesem Griechenland, in dem alle immer nur schlafen, anstatt Urlaub zu machen. Auch wenn diese Freundschaft ihm dann erst recht Kummer bereitet.
Wo nehmen Sie die Geschichten her, die Sie erzählen. Und woher kam Valentin?
Sarah Michaela Orlovský: Die Geschichte von Valentin ist mir tatsächlich im Urlaub auf einer griechischen Insel eingefallen. Es war schon September und in unserem Hotel wohnten fast nur Pensionisten – und ein kleiner Junge. Er war wohl mit seinen Großeltern unterwegs. Wie er da saß, auf der Terrasse, und unglücklich wartete, bis Oma und Opa endlich mit dem Frühstücken fertig sind, da hat er mir so leidgetan. Ich hab ihn nicht mehr aus dem Kopf bekommen und überlegt, wie sein idealer Urlaub ausgesehen hätte und was er wohl jetzt den ganzen Tag so macht.
Spielen Sie bei der Entwicklung einer Geschichte verschiedene Ideen durch, oder steht die Story von Anfang an unverrückbar fest?
Sarah Michaela Orlovský: Entweder ich habe den Anfang gleich im Kopf, oder das Ende, oder das Grundkonzept – irgendetwas, das mich fasziniert und weswegen es sich lohnt, ein Buch zu schreiben. Oft ist das auch nur ein lustiger Satz. Den Rest baue ich dann drumherum. Bei Valentin war es der Junge, den ich gesehen habe. Ich habe nachgedacht, was er wohl den ganzen Tag tut. Dann habe ich einen streunenden Strandhund gesehen, buntbemalte Steine, eine Felsenburg – und all diese Dinge sind rund um den Jungen zu einer Geschichte geworden.
Ist Humor, Witz und Heiterkeit wichtig im Kinderbuch?
Sarah Michaela Orlovský: Ich bin eher tiefbegabt in Mathematik. Aber eine Gleichung kann ich vorrechnen: Humor und Heiterkeit sind enorm wichtige Essenzen des Lebens. Ein gutes Kinderbuch ist eine knackige Zusammenfassung des Lebens. Also: Ein gutes Kinderbuch KANN gar nicht ohne Humor und Heiterkeit auskommen!
Wie schreibt man denn, wenn man für Kinder schreibt?
Sarah Michaela Orlovský: Ich finde am wichtigsten, dass ich Kinder ernst nehme. "Das ist noch nichts für dich!" oder "Das geht dich nichts an!" – Wer bestimmt denn das, bitte? Wenn Kinder Interesse an einem Thema haben, dann ist es auch etwas für Kinder. Es muss nur sprachlich so aufbereitet sein, dass es für Kinder zugänglich wird. Das heißt nicht, dass alles besonders simpel sein muss. Reduzierte Sprache kann sehr komplexe Dinge erzählen und gleichzeitig Raum geben für eigene Gedanken und Erfahrungen. Besonders, wenn geniale Illustratoren den Worten dann noch ihre Bilder zur Seite stellen.
Erzählt man anders?
Sarah Michaela Orlovský: Ich erzähle immer "anders". Nicht nur jede Zielgruppe braucht ihre eigene Sprache und Erzählweise, auch jede Geschichte und jeder Protagonist. Ich spreche sehr gerne mit Kindern und Jugendlichen und ich erzähle gerne für sie. Was ich mich frage, ist: Wie erzählt man für Erwachsene? Das habe ich noch nie probiert.
Was sollte man denn vermeiden, wenn man sich als Autor oder Autorin darauf einlässt, für junge Leserinnen und Leser Bücher zu schreiben?
Sarah Michaela Orlovský: Ich halte es nicht aus, wenn ich eine Geschichte lese, die keine Geschichte sein will, sondern ein Lexikonartikel, eine Benimm-Regel, ein Rufzeichen. Geschichten, in denen Fragezeichen bleiben dürfen, halte ich für viel sinnvoller.
Text und Bild greifen in "Valentin, der Urlaubsheld" eng ineinander. Wie war die Zusammenarbeit mit Michael Roher?
Sarah Michaela Orlovský: Heimlich, still und leise habe ich ja schon Michaels genialen Strich im Hinterkopf gehabt, als ich die Geschichte geschrieben habe. Und dort, wo ich dachte: "Das kann der Michael viel bezeichnender zeichnen, als ich es beschreiben kann", dort habe ich meine Ideen für die Bilder notiert. Michael war dann so lieb, meine und seine Ideen in Bilder zu verwandeln. Er hat immer gefragt, ob ich was auszusetzen hätte, aber mir ist beim besten Willen nichts eingefallen!
Gibt es Pläne für zukünftige Bücher? Woran sitzen Sie denn gerade?
Sarah Michaela Orlovský: Momentan arbeite ich an 2 Büchern gleichzeitig. Zum einen schreibe ich einen Roman für Kinder. Die Idee dazu ist mir durch einen Zeitungsausschnitt gekommen. Es ist eine witzig-skurrile Geschichte. Ich konnte zuerst gar nicht glauben, dass sie wahr sein soll! Das zweite Projekt ist ein Roman für Jugendliche. Die Idee dafür findet sich auch in meinem Notizbuch: Ich habe ein ganz besonderes Werbeprospekt gesehen. Und schon hab ich zur Kamera und zum Stift gleichzeitig gegriffen.
Im "Valentin" geht es ja nicht nur um Pech und Pannen, sondern auch um Freundschaft. Was heißt denn Freundschaft für Sie persönlich?
Sarah Michaela Orlovský: Bei den meisten meiner Reisen war ich nicht einfach eine Woche lang irgendwo auf Urlaub. Ich habe meistens ein paar Monate oder sogar ein Jahr an einem Ort gearbeitet und gelebt und viele beeindruckende Menschen kennengelernt. Natürlich denke ich oft daran, wie schön die Victoria-Fälle in Sambia sind oder wie atemberaubend es war, die Gorillas in Ruanda zu sehen. Aber was wirklich geblieben ist von jeder Reise, sind die Freunde, die ich gefunden habe. Sie fehlen mir.
Und wo geht’s hin im Sommerurlaub?
Sarah Michaela Orlovský: Zum ersten Mal in meinem Leben in den Norden!
Storyboards und Bildideen
Ein Gespräch mit Michael Roher
Sie haben 10 Kapitel lang den Urlaubshelden Valentin mit dem Zeichenstift begleitet und wundervolle Bilder zu seinem Urlaub gefunden. Was einem rasch auffällt: Da will einer mehr, als bloß dem Text Bilder zur Seite zu stellen. Da mischt sich der Illustrator ordentlich in den Text ein, nimmt ihn ins Bild auf, macht daraus Sprechblasen und eine kurze Comicsequenz und kommentiert immer wieder den Text witzig und frech mit frischem, flottem Strich. Wie sehen Sie denn die Funktion und Aufgabe einer Kinderbuchillustration?
Michael Roher: Also zunächst einmal muss ich sagen, dass gerade bei "Valentin, der Urlaubsheld" im Konzept der Autorin Sarah Michaela Orlovský bereits die Bild-Text-Verschränkung sehr stark vorgesehen war. Sarahs Idee war es, die Geschichte so anzulegen, dass auch ErstleserInnen einen ganzen Roman "schaffen". Dazu war es wichtig, den Text in kleine Häppchen zu teilen und reich zu bebildern, wobei die Illustrationen, wie gesagt, in diesem Fall auch selbst sehr viel erzählen sollten. Wir haben uns dann im Café getroffen und mal so grob den Text auf die Buchseiten aufgeteilt und ich habe mir ein ungefähres Storyboard gemacht und Bildideen gesammelt. Für manche Situationen hat Sarah schon recht konkrete Vorstellungen gehabt, großteils hat sie mir aber freie Hand gelassen, sodass ich auch viele eigene Ideen einbringen konnte. Soviel zur Frage nach der Rolle und Entwicklung der Illustrationen konkret bei "Valentin".
Pauschal kann ich die Frage nach der Aufgabe von Kinderbuchillustration nicht beantworten, weil ich diese Aufgabe von Projekt zu Projekt unterschiedlich sehe. Bei kurzen, reduzierten Texten, wie beispielsweise in Bilderbüchern, kann die Illustration viel erzählen, was im Text aufgrund seiner formalen Knappheit nicht Platz hat. Das können Gefühle und Stimmungen sein, genauso aber auch Schauplätze, Personen oder Handlungen, die durch das Bild näher beschrieben und veranschaulicht werden. Andere Texte, wie etwa Gedichte, die oft mehr ein Gefühl oder ein gewisses Stimmungsbild beschreiben, sehe ich oft als Einladung an die Illustration, eine ganz eigenständige "Geschichte" dazu zu erzählen, die lediglich inspiriert ist von der Atmosphäre, die der Text in mir hinterlässt. Bei längeren Geschichten sehe ich die Illustration wiederum oft mehr als Auflockerung, als kleine (humorvolle) Ergänzungen zwischendurch, die für die eigentliche Handlung aber unwesentlich sind und lediglich die Lesemotivation steigern ("Auf der nächsten Seite kommt wieder ein Bild!").
Sie beziehen sich immer auch auf bestimmte Traditionen und Illustrationsstile in Ihren Arbeiten. Wer war, wer ist denn für Ihre Entwicklung als Künstler wichtig?
Michael Roher: Wenn ich einen Künstler oder eine Künstlerin entdecke, deren Illustrationen und Bilder mich faszinieren, passiert bei mir zuerst oft eine sehr starke Annäherung. Ich lasse es zu, dass mich die Bilder anderer IllustratorInnen leiten und beeinflussen und sich mein Stil sehr stark an diesen Vorbildern orientiert. In weiterer Folge beginnt dann früher oder später der Prozess der Ablösung, in dem ich mich wieder aus deren Einfluss löse und mehr den eigenen Weg suche. Trotzdem nehme ich mir jedes Mal etwas aus dieser "Begegnung" mit und so bereichert die Auseinandersetzung mit der Kunst anderer zwangsläufig auch stets meine eigene Arbeit. Wesentlich geprägt haben mich dabei sicher KünstlerInnen wie Linda Wolfsgruber, aber auch Valerio Vidali oder Beatrice Alemagna.
Ist es ein Vorteil beim Illustrieren einer "fremden" Geschichte, dass Sie auch selber schreiben?
Michael Roher: Ich denke, es hilft zwar beim Schreiben, wenn man selber illustriert, weil man dann bereits im Entstehungsprozess des Textes Bilder im Kopf kreiert und vielleicht ein besseres Gefühl dafür entwickelt, was man textlich aussparen kann, weil es sich gut durch Bilder transportieren lässt. Aber umgekehrt – also dass es beim Illustrieren hilft, wenn man selbst Autor ist –, das könnte ich nicht behaupten. Wenn ich fremde Geschichten illustriere, dann mische ich mich nicht in Formulierungen oder Erzählstil ein. Auch bei Sarahs Geschichte waren meine Anregungen rein aus der Illustratoren-Sicht, also zum Beispiel wo eventuell Bild-Text-Doppelungen vermieden werden könnten.
Haben Sie beim Lesen einer Geschichte einzelne Bildideen im Kopf, die Sie dann Bild für Bild umsetzen? Oder entwickeln Sie zuerst ein Storyboard für die ganze Geschichte?
Michael Roher: Bei manchen Textstellen sind sofort Bilder und Ideen da. Für andere muss ich länger überlegen bzw. haben Sarah und ich auch bei manchen Bildern gemeinsam überlegt. Das Storyboard hat sich zu Beginn nur auf die Textaufteilung bezogen, wurde aber nach und nach mit Bildideen aufgefüllt. Lücken bleiben aber meist trotzdem und das stört mich auch nicht bei der Arbeit. Ich brauche nicht zwangsläufig die gesamte Geschichte durchskizziert zu haben, um mit den eigentlichen Illustrationen zu beginnen. Wichtig sind die Hauptcharaktere, die müssen klar sein. Der Rest ergibt sich zu gegebener Zeit.
Hat da der Autor noch ein Wörtchen mitzureden?
Michael Roher: Beim Illustrieren fremder Texte ist es mir immer wichtig, das Projekt als ein gemeinsames zu sehen, mit dem am Ende beide, also sowohl AutorIn als auch ich als Illustrator, zufrieden sind. Das bedeutet für mich ein großes Maß an Kommunikation und Austausch über den Status des Arbeitsprozesses. Konkret heißt das, dass ich Sarah die Bilder, sobald ich wieder welche fertig hatte, gemailt habe und sie mir Rückmeldung geben konnte. Manchmal habe ich daraufhin gewisse Dinge verändert, meist war das aber nicht nötig, weil Sarah mit dem Bild zufrieden war, und manchmal war sie sogar überrascht, was ich da zu ihrem Text fabriziert habe. Angenehm war es, dass Sarah einerseits sehr klar war in dem, was sie wollte (für manche Passagen hatte sie, wie schon gesagt, bereits beim Schreiben eigene Bildideen verschriftlicht), andererseits hat sie mir aber auch sehr großen Gestaltungsfreiraum gelassen und so habe ich etwa Textstellen zu Comic-Seiten umgearbeitet oder mit eigenen Ideen und kleinen Nebenhandlungssträngen ergänzen können.
"Valentin, der Urlaubsheld" ist auch beim Wettbewerb Die Schönsten Bücher Österreichs ausgezeichnet worden. Eine überraschende Ehrung?
Michael Roher: Ja, die Auszeichnung war für mich tatsächlich überraschend und gleichzeitig ein ganz besonderes Kompliment, über das ich mich sehr gefreut habe.
Seit Ihrem ersten Buch, dem Bilderbuch "Fridolin Franse frisiert" aus dem Jahr 2010, sind mehr als ein Dutzend Bücher von Ihnen erschienen. Was hat sich denn für Sie persönlich seit "Fridolin Franse" verändert?
Michael Roher: Die letzten 5 Jahre waren sicher eine besonders intensive Zeit für mich, die sich vielleicht am ehesten als kleine Entdeckungsreise beschreiben lässt. Ich habe unter anderem durch den Besuch der Kinderbuchmesse in Bologna im Jahr 2010, aber auch durch die intensivere Beschäftigung mit der Illustration sehr viele beeindruckende und inspirierende Arbeiten von internationalen KünstlerInnen kennenlernen dürfen. Ich habe durch Ausprobieren verschiedener Techniken mein Repertoire erweitern können und habe das Gefühl, mehr und mehr für mich herauszufinden, was mir liegt und was weniger. Ich habe meinen Traum, Bilderbuchillustrator zu werden, leben dürfen und so viele Preise und positives Feedback gekriegt, dass ich es kaum glauben kann. Ich habe auch feststellen müssen, dass sich die Zeit, die ich damit zubringe, Mails zu beantworten, seither vervielfacht hat. Ich habe allerhand Lesungen und Workshops gehalten und bin dabei vielen lieben Leuten und schönen Plätzen begegnet. Ich habe Erfahrungen mit unterschiedlichen Verlagen gemacht und festgestellt, dass jeder irgendwie auf seine ganz eigene Weise funktioniert. Ich habe viele Projekte, die mir am Herzen gelegen sind, verwirklichen können. Ich habe oft an mir gezweifelt, war auch oft zufrieden mit mir und bin, um es zusammenfassend mit einem Wort zu sagen, dankbar für all das – trotz erhöhtem Zeitaufwand für Mailverkehr. ;-)
Die Interviews wurden per E-Mail geführt.
Wir bedanken uns sehr herzlich bei den Autoren, Autorinnen, Illustratoren und Illustratorinnen für ihre Geduld und die Bereitschaft, aus der Schule zu plaudern.
Sonja Bognar, Robert Stocker