Über die Arbeit an den Preisbüchern 2020
Ich möchte Kindern Mut machen
Frauke Angel über ihre Arbeit an "Disco!"
Die Idee zu diesem Buch lag lange in meiner Pralinenschachtel. Dort bewahre ich Notizen, Bilder und allerlei Fundstücke auf, die mich berühren. Mittlerweile habe ich die Schachtel digital erweitert, der Ordner trägt den profanen Titel: gute Ideen – keine Zeit.
Tatsächlich habe ich erst spät angefangen zu schreiben. Und bis dahin schon so viele wunderbare Menschen getroffen, so viele wunderbare Geschichten gehört, die ich unbedingt noch erzählen will, dass mir manchmal fast schwindelig wird, wenn ich meine Schachtel öffne. Zudem bin ich ein ungeduldiger Mensch. Wenn ich mich für eine Sache entschieden habe, dann soll sie auch los – und am liebsten gleich bis zum glücklichen Ende gehen.
Aber gut Ding will manchmal doch Weile haben. Als ich die ersten "Disco!"-Notizen in meine Schachtel steckte, war ich wütend. Denn ich war Mutter eines Jungen, der Farben und Kleider liebte und gerne tanzte. Dieser kleine, neugierige Mensch wurde von ausgewachsenen, einfältigen Menschen häufig mit haarsträubenden Zuschreibungen belegt. Weil von den Großen aber niemand bereit war, sich auf ein Gespräch einzulassen, in dem sie sich dem Kind hätten erklären müssen, schrieb ich mir meinen Ärger von der Seele und verstaute ihn in meiner Schachtel. Die Ursprungsgeschichte von "Disco!" war also an Erwachsene gerichtet. Sie las sich zynisch und böse.
Ich bin der Meinung, Wut ist ein starker Motor, aber das Resultat muss nicht zwangsläufig starke Literatur sein. Wütende Texte sind angreifbar. Und häufig verletzend. Doch ich bin Autorin geworden, um mich gegen Verletzungen, die Kindern zugefügt werden, zu wehren. Ich möchte Kindern Mut machen, Denkmuster in Frage zu stellen und sich auszuprobieren. Rauszufinden, wer man sein will, ist nämlich gar nicht so einfach. Macht aber himmlischen Spaß. So ist "Disco!" letztlich auf einer Faschingsparty im Kindergarten entstanden. Mein Sohn war eine sehr schöne Prinzessin, ich ein sehr schlaues Schwein. Die Kinder haben Disco gemacht und ich habe sie dabei belauscht.
Anschließend habe ich das Manuskript bei Jungbrunnen vorgestellt. Hildegard Gärtner hat es gleich gemocht. Sie fand den Text heiter und schlau. So wie Kinder eben sind, wenn man sie sein lässt.
Ab einem bestimmten Punkt beginnen mir Papier und Stift Details über die Figuren zu erzählen
Julia Dürr über ihre Arbeit an "Disco!"
Wie so oft in meinem Arbeitsleben als Illustratorin gab es auch am Anfang zu diesem Buch zunächst den Text – der Text von Frauke Angel. Der Jungbrunnen Verlag hatte sich mit ihm bei mir mit einer Anfrage für Illustrationen gemeldet. Ein Bilderbuch-Text zum Thema Geschlechterstereotypen, leicht und super witzig geschrieben. Ich hatte beim Lesen oft gelacht. Ich sagte zu.
Beim Zeichnen und Illustrieren mache ich mir über dieses Thema oft Gedanken. Inwieweit reproduziere ich Geschlechterstereotypen? Wie kleide ich die Kinder in meinen Büchern? Schnell sind die Jungs in Blau-Grün-Tönen gekleidet, die Mädchen in Rosa-Gelb. Meist fällt es mir im Nachhinein auf und ich ändere es dann anschließend bewusst. Frisuren sind das gleiche Thema. Ich liebe kurze Strubbelhaare für Mädchen und mindestens genauso lange Haare für Jungen. Doch kann man die Geschlechter dann noch auseinanderhalten? Und ist das überhaupt notwendig? Wenn ja, warum? Ich habe da viele Fragen … und mehrere sind noch unbeantwortet.
"Disco!" ist ein Buch über das Auflösen von Stereotypen, also sollten auch meine Figuren vielschichtig werden. In meinem Bekanntenkreis gibt es einen Jungen, Wille, er tanzt gern im Kleid, verkleidet sich als Gurke und reitet als Prinzessin zum Ball. Schnell entwickelte sich mit ihm im Kopf der Hauptcharakter des Buchs. Bis ich Pina, die wilde Freundin der Hauptfigur, auf Papier hatte, dauerte es länger. Ich machte viele Skizzen. Beim Skizzieren kann ich mich Charakteren am besten nähern. Ab einem bestimmten Punkt beginnen mir Papier und Stift Details über die Figuren zu erzählen. Und so war es auch bei Pina. In einer der Skizzen zog sie sich von selber einen Weltraumanzug an. Das gefiel mir. Mir wurde klar: Diese Pina hat ganz viel vor, mehr als Ponys, Freundschaft und Schönsein. Mit ihr konnte ich Frauke Angels Geschichten erzählen.
Als das Buch fertig war, schenkte ich Wille das erste Exemplar. Er sagte: "Danke, Lule, dass du ein Buch für mich gemacht hast." Ich hoffe, es gibt noch eine Menge anderer Kinder, die sich in dem Buch wiederfinden werden. Das Zeichnen war mir jedenfalls eine große Freude und ich danke Frauke Angel und Hildegard Gärtner vom Jungbrunnen Verlag für die schöne Zusammenarbeit.
Die Königin der Fragenstellerinnen
Leonora Leitl über ihre Arbeit an "Einmal wirst du …"
Zu meinem Buch "Einmal wirst du ..." hat mich meine 14jährige Tochter Paula inspiriert. Paula ist die Königin der Fragenstellerinnen. Ich denke, kein Mensch hat mir je so viele Fragen gestellt wie sie. Lustige, skurrile, aber auch sehr tiefsinnige. Eine typische Paulafrage lautet zum Beispiel: Wärst du lieber ein Kaktus oder ein Gummibaum? Hättest du lieber ein Café in London oder eine Ponyfarm in Irland? Wieso hat Japan beim Ersten Weltkrieg mitgemacht? Was macht man, wenn man eine Henne ist und draufkommt, dass man keine Hähne mag? Können Hennen lesbisch sein? Ich habe das Gefühl, ich erzähle ihr alles, was ich weiß, und was ich nicht weiß, muss ich eben für sie nachlesen.
Irgendwann einmal bastelte ich für eine Lesung einen kleinen Koffer. Ich schrieb verschiedene Fragen auf kleine Zettel, steckte sie in den Koffer und mein Publikum durfte vor der Lesung Fragen aus dem Koffer ziehen und sie beantworten. Der Koffer wurde der totale Knüller! Er war fast beliebter als das Buch, aus dem ich vorlas, und ich dachte: "Wow, so einfach geht es, jemanden zu begeistern!"
Danach entschied ich, aus den Fragen ein Buch zu machen. Die Fragen sollten sich um das Thema Erwachsenwerden ranken. Dabei war es mir wichtig, dass der Zwischenraum zwischen Text und Bild besonders groß sein sollte, um möglichst viel Raum für verschiedenste Interpretationen zu lassen. Ich beschäftige mich schon lange mit dem Raum zwischen Bild und Text und bin der Meinung, dass dieser Zwischenraum bei guten Büchern sehr groß ist. Entscheidend für mich war, die richtige Mischung aus Fragen zu stellen: Fragen, die ganz allgemein sind, die die Lebenssituation oder die Familie der Leserinnen und Leser betreffen, die lustig oder traurig sind oder einfach ganz persönlich. Durch das Fehlen großer Textmengen sind die Leserinnen und Leser gezwungen, die Bilder genau zu studieren. (Freut mich diebisch als Illustratorin!)
Im Buch wird nur eine einzige Frage schriftlich beantwortet – die letzte und eigentlich die wichtigste. Die Illustration zeigt mich und meine Tochter Paula auf unserer Gartenhütte sitzend. Die dazugehörige Frage lautet: "Wirst du immer bei mir bleiben?" Diese Antwort ist leider keine in Stein gemeißelte Wahrheit, sondern einfach nur Ausdruck von Hoffnung: "Ja".
Und zack, da war die Idee!
Agnes Ofner über ihre Arbeit an "Nicht so das Bilderbuchmädchen"
Wenn ich an den Ursprung von "Nicht so das Bilderbuchmädchen" denke, muss ich immer noch lächeln. Weil der Moment schön war. Und weil ich mich freue, auf was für unerwarteten Wegen Ideen daherkommen. Ich bin nämlich nicht in einer Wiener Wohnung gesessen und habe meine Nachbarn durchs Fenster beobachtet! (Auch wenn ich das durchaus gerne manchmal mache.)
Ich war im tiefen Regenwald in Peru. Genauer in einem Paddelboot auf einem Seitenarm des Amazonas, ungefähr 3 Paddeltage und 24 Stunden mit dem Schiff von der nächsten ans Straßennetz angeschlossenen Ortschaft entfernt. Mit staunenden Augen habe ich die vorbeiziehende Landschaft beobachtet, gespickt mit allerhand Affen und Faultieren und Vögeln. Spinnen so groß wie mein Handteller. Krokodile, so groß wie ich und größer. Links nichts als Dschungel, rechts nichts als Dschungel und dazwischen der Fluss. An einigen Stellen trennten vielleicht 5 Meter das eine Tier von dem anderen und trotzdem war die Distanz für manche unüberwindbar. Und zack, da war die Idee!
Noch in dem kleinen Paddelboot hat mein Kopf die Bäume in Häuser, die Äste in Wohnungen und die Faultiere in Teenager verwandelt, die sich gegenseitig Nachrichten in die Fenster hängen und so eine Freundschaft entwickeln. Mich hat besonders gereizt, dass durch diese Art der Kommunikation gewisse Vorurteile wegfallen und der Prozess des Kennenlernens entschleunigt wird.
Ich habe gleich gewusst, dass ich daraus ein Buch machen will und nicht wie gewohnt eine Kurzgeschichte. Und weil das gruselig war, habe ich erst einmal lieber über das Schreiben recherchiert, anstatt selbst loszuschreiben. So habe ich dann entdeckt, dass ich genau noch 4 Tage hatte, um mich für das Förderprogramm "Schreibzeit" des Instituts für Jugendliteratur zu bewerben. Also habe ich die ersten paar Kapitel noch am Handy in Peru abgetippt und, einem 24-stündigen Stromausfall zum Trotz, auf den letzten Drücker abgeschickt.
In diesem Rahmen ist dann auch die erste Fassung von "Nicht so das Bilderbuchmädchen" entstanden. Das regelmäßige Feedback und der Zuspruch haben mir den nötigen Mut gegeben, um die Geschichte zu Ende zu schreiben. An dieser Stelle ein großes Danke an alle, die an den Text geglaubt haben, bevor und nachdem er fertig war! Ohne euch gäbe es kein Buch.
Durch alle Höhen und Tiefen
Hannes Wirlinger über seine Arbeit an "Der Vogelschorsch"
Den Vogelschorsch trug ich seit meiner Kindheit mit mir herum. Es gab ein konkretes Vorbild, einen gesellschaftlichen Außenseiter. Die Figur des Vogelschorsch kroch in all den Jahren immer wieder in meine Gedanken. Manchmal still und leise, so dass ich seine Anwesenheit kaum spürte. Dann wieder fordernder. Besonders in den letzten Jahren war er sehr gegenwärtig. Er schien an Gewicht und Größe zugenommen zu haben. Darüber hinaus kam es mir so vor, als ob er nicht mehr dazu bereit sei, ein stilles Dasein zu fristen...
Eines Tages, an einem Sommertag, begann er mit aller Kraft und Vehemenz an mir zu zerren. Augenblicklich setzte ich mich an meinen Computer und begann den Roman "Der Vogelschorsch" zu schreiben. Ohne Konzept oder Textskizze, aber voller Freude, Begeisterung und Konsequenz. Ich genoss es, einmal nicht wie beim Drehbuch die Struktur im Auge behalten zu müssen und das Budget im Hinterkopf auszublenden.
Tag für Tag widmete ich mich ein paar Monate der Recherche, dem Text und der Überarbeitung. Ich ging mit Lena, dem Mühltaler Max, dem Vogelschorsch und den anderen Figuren in der Geschichte durch alle Höhen und Tiefen, durch all ihre Freuden und ihre schmerzvollen Erfahrungen. Mit der Zeit entwickelten sie ihren eigenen Willen. Ich hatte das Gefühl, einen Sog zu spüren, der mich antrieb, den Text in die Tastatur zu hämmern. Und irgendwann war der Roman fertig und ich fühlte mich von einem Augenblick auf den anderen vom Vogelschorsch befreit. Eine ungeheure Last fiel von mir ab. Ich war froh, dass der Vogelschorsch das Weite gesucht hat.
Nun war es Zeit, auch den Text in die Freiheit zu entlassen. Glücklicherweise fand er bald illustre Freundinnen und Freunde. Zunächst mit der brillanten Lektorin Natalie Tornai und meiner großartigen Agentin Susanne Koppe und ihrer tollen Assistentin Katharina Pech. Überdies mit der fabelhaften Illustratorin Ulrike Möltgen und meinen mutigen Verlegern Nicola Stuart & Edmund Jacoby. Besonders Ulrike Möltgen verlieh dem Roman mit ihren meisterhaften Bildern den außergewöhnlichen Anstrich. Herzlichen Dank an euch alle!
Abtauchen in meine Welt
Ulrike Möltgen über ihre Arbeit an "Der Vogelschorsch"
Hannes Wirlinger und ich haben uns auf einer Messe kennengelernt. Wir haben dieselbe Agentin und so kam es dazu, dass er mir das ausgedruckte Manuskript vom "Vogelschorsch" in die Hand gedrückt hat. Da war das Buch noch nicht unter Vertrag und wie das so ist auf der Messe, denkt man dann zuerst: "Okay, jetzt habe ich 200 Seiten zusätzlich im Gepäck." Naja … Aber als ich das Manuskript dann zu Hause gelesen habe, war ich tatsächlich sehr begeistert. Ich wollte unbedingt zumindest das Cover machen und habe mich gleich an verschiedene Titelentwürfe gesetzt. Daraufhin waren viele Verlage begeistert, aber keiner wollte so recht zuschlagen. Bis auf Jacoby & Stuart, zum Glück.
Als dann klar war, dass ich das Cover machen würde, habe ich Nicola Stuart darum gebeten, noch hier und da ein paar Vignetten einzustreuen, weil ich einfach noch ein paar Bilder im Kopf hatte, von denen ich dachte, dass sie diese tolle Geschichte bereichern könnten. Dass es nicht ein paar eingestreute Vignetten, sondern 54 Vollbilder werden würden, habe ich damals selbst nicht gedacht.
Am Anfang einer Geschichte werde ich regelmäßig von schrecklichen Selbstzweifeln gepackt. Ich schiebe die Arbeit vor mir her, mache lieber alles andere, zum Beispiel die Steuer, aufräumen, alles Mögliche. Dann fange ich an, finde das schrecklich, was ich mache, probiere weiter. Zu Beginn sind es jeden Tag 2 Stunden frustriertes Arbeiten, am Ende 10 bis 12 Stunden abtauchen in meine Welt. Es war eine Herausforderung für mich, an jedem Kapitelanfang eine Illustration zu entwerfen, die das, was kommen wird, andeutet, ohne zu viel zu verraten, konkret zu werden und gleichzeitig zu abstrahieren, eine Stimmung zu erzeugen, als hätte man das Ganze geträumt.